Französische Literatur

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In Frankreich ist es ein sehr langes Jahrhundert, das etwas über seine chronologischen Grenzen hinausgeht. Wir können es zwischen zwei großen Ereignissen ansetzten, der französischen Revolution von 1789 und dem Beginn des Ersten Weltkriegs 1914.

Es ist vor allem das Jahrhundert der Revolutionen und politischen Umwälzungen: 1789, 1799, 1815, 1830, 1848, 1851, 1870. Ohne Atempause. Die Umwälzungen folgen dicht aufeinander. Das Jahrhundert beginnt mit dem Sturz der Monarchie: Nachdem das Volk jahrhundertelang gehorcht und gelitten hatte, beanspruchte es nun, souverän zu sein. Die meisten politischen Ereignisse des Jahrhunderts werden durch diese Neuheit ausgelöst: Alle Klassen der Gesellschaft wollen über ihre politische und wirtschaftliche Zukunft entscheiden, aber sie haben oft gegensätzliche Interessen.

Horace Vernet, Barrikade in der Rue Soufflot, Juni 1848

Es war auch ein Jahrhundert der Verstädterung. Man muss sich  ein Land vorstellen, in dem 1806 mehr als 80 % der Menschen auf dem Lande lebten. Im Jahr 1910 waren es nur mehr 50%. In der Zwischenzeit haben die Städte ihr Gesicht verändert und sind maßlos gewachsen. Im Jahr 1800 hatte Paris 550.000 Einwohner, am Vorabend des Ersten Weltkriegs waren es fast drei Millionen (viel mehr als heute!). Dieses Wachstum veränderte die Städte, ihre Geräusche, Gerüche und Farben. Am Ende des Jahrhunderts brachte die Elektrizität Licht in die großen Hauptstädte. Die Stadt erscheint auch als der Ort, an dem alles möglich ist, an dem alle Hoffnungen erlaubt sind (Le Rouge et le Noir), im Gegensatz zum Land, wo nichts passiert (Madame Bovary).

Abgesehen von den Revolutionen charakterisiert eine gigantische technische Entwicklung diese Zeit. Die Böden werden ausgegraben, um Rohstoffe zu gewinnen,  man versucht, sich in die Lüfte zu erheben,  transformiert Materie, es wird daran gearbeitet, die Macht der Menschheit zu steigern. Das stellt einen Umbruch zu den Mentalitäten der vergangenen Jahrhunderte dar. Da Frankreich immer mehr produziert, suchte es nach Ressourcen und Absatzmöglichkeiten in seinen Kolonien und kämpft um die Erweiterung seines Imperiums in Afrika und Mittelamerika. Die Entwicklung der Industrie brachte die neue Klasse der Arbeiter hervor. Unzufrieden mit ihrer Situation und ihren Arbeitsbedingungen, waren sie oft die treibende Kraft (aber nicht immer die Begünstigten) der politischen Umwälzungen des Jahrhunderts.

Die Volksbildung führte zu einer wichtigen Tatsache: Während im vorhergehenden Jahrhundert Bücher einer bürgerlichen oder aristokratischen Elite vorbehalten waren, breitete sich das Lesen allmählich in allen Gesellschaftsschichten aus, und 1882 wurde die Bildung kostenlos, laizistisch und verpflichtend. Der Preis für Papier und die Kosten für die Herstellung von Büchern sanken erheblich, wodurch sie für jedermann erschwinglich wurden.

Die französische Sprache im 19. Jahrhundert

Diese Epoche erbte vom vorherigen Jahrhundert einen Sinn für Universalität und eine Besessenheit mit Pädagogik. Es war eine Zeit, in der alle einander verstehen und dieselbe Sprache sprechen wollten: Ab der Revolution von 1789 erklärte der Staat den Dialekten und lokalen Mundarten den Krieg ; ihre Verwendung nahm im Laufe des Jahrhunderts immer weiter ab. Wie immer bereichern technische Entwicklungen und politische Kämpfe die Sprache.

Im neunzehnten Jahrhundert schrieben die europäischen Wissenschaftler nicht mehr auf Latein, sondern auf Französisch, Englisch, Deutsch und Italienisch. Die Medizin, die Biologie und die Sozialwissenschaften machten rasante Fortschritte und der Wortschatz musste folgen. Aus dieser Zeit stammen zum Beispiel alle Wörter mit dem Präfix  Elektro-.

Das neunzehnte Jahrhundert war auch von zahlreichen politischen und sozialen Konflikten geprägt: Es war daher die Geburtsstunde all der Wörter auf -ismus, -ist, anti-, die bis heute im Lexikon zunehmen.

Auf einer tieferen Ebene ist das Verhältnis zur Sprache im 19. Jahrhundert dem der Renaissance ähnlich: Unter dem Einfluss der Romantik wird die Poesie in den Dienst des lexikalischen Reichtums gestellt, ohne eine Hierarchie zwischen den Verwendungen herzustellen. Dies führt zu einer Vermehrung von Wörterbüchern, in denen Wörter gesammelt werden, die oft schnell wieder in Vergessenheit geraten, wie zum Beispiel fatrasser (sich mit Unsinn beschäftigen), epigrammatiser (einen bissigen Wortwitz machen) oder écrivailler: „viel, schnell und schlecht schreiben“ (ein schönes Wort!). Manchmal enthalten diese Wörterbücher Neologismen, denen eine große Zukunft bevorsteht: ébouriffant, actualité, actualiser, actualisation (Wörter aus Louis Barrés Complément au dictionnaire de l’académie française, 1842). Im Gegensatz zum 17. Jahrhundert, einem sorgfältig getrimmten syntaktischen Garten französischer Prägung, ist der Wortschatz im 19. Jahrhundert üppiger, wilder, exzessiver und manchmal unnötig.