Der Mittagsgedanke
Sein Leben
Albert Camus wurde im November 1913 in eine arme Familie im damals französischen Algerien geboren. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, wird sein Vater an die Front geschickt und stirbt in den Schützengräben. Albert wuchs in den Vororten von Algier auf. Als Waise, aber ausgezeichneter Schüler wird er von seinem Grundschullehrer Louis Germain entdeckt und gefördert, der Alberts Familie davon überzeugt, dem Jungen eine Ausbildung zu ermöglichen. Er erhält ein Stipendium bis zu seinem Hochschulabschluss in Philosophie. Seine Tuberkulose hindert ihn daran, die Agrégation zu versuchen, die Zulassungsprüfung für das Lehramt an Gymnasien und Universitäten.
Kunst und Engagement
Camus Leidenschaft fürs Schreiben führt ihn dazu, für eine progressive Zeitung, „Alger Républicain“, zu arbeiten und gleichzeitig sein eigenes Werk zu beginnen. Der Zweite Weltkrieg bricht aus. Er kommt in die französische Hauptstadt, um Arbeit zu finden, und engagiert sich während der deutschen Besatzung in der Résistance, indem er sich an der Untergrundzeitung „Combat“ beteiligt. Nach der Veröffentlichung von Le Mythe de Sisyphe im Jahr 1942 schreibt er einen Roman, der ihn zu einem modischen Schriftsteller macht: L’Etranger (Der Fremde). Im Einklang mit seinem Engagement im Journalismus und in der Résistance versuchte Camus, die Sinnsuche seiner Zeitgenossen in seinen Theaterstücken (Le Malentendu, Les Justes…), Romanen (La Peste) und schließlich in einem Essay, der ihn mit der kommunistischen Linken entzweit, zu beleuchten: L’Homme révolté (Der Mensch in der Revolte). Später konzentriert er sich mehr auf Theateradaptionen und verleiht seinem Werk einen intimeren Ton (Der Fall, Der erste Mensch). In dem aufkommenden Konflikt des Algerienkriegs, der ihn in seinem Inneren zerreißt, erhebt er eine versöhnliche Stimme. 1957 wird dem Kind aus den Vororten von Algier eine besondere Ehre zuteil: Albert Camus erhält für sein publizistisches Gesamtwerk den Nobelpreis für Literatur. Er stirbt 1960 im Alter von 46 Jahren bei einem Autounfall.
« Es gibt viele Ungerechtigkeiten in der Welt, aber es gibt eine, über die nie gesprochen wird, und das ist die Ungerechtigkeit des Klimas. Von dieser Ungerechtigkeit war ich lange Zeit, ohne es zu wissen, einer der Profiteure. »
Vorwort zu Licht und Schatten
Albert Camus und seine Zeit
Alles beginnt mit dem Journalismus. In Algerien arbeitet Camus nach Abschluss seines Studiums für die Zeitung Alger Républicain, wo er sich aktiv für eine gerechtere Vertretung des arabischen Volkes in den politischen Institutionen einsetzt. Er berichtet über die Kabylei, eine elende und vergessene Provinz, so ausgiebig und treffend, dass er schließlich den Behörden unbequem wird und nach Frankreich auswandert, um Arbeit zu suchen. Camus ist 26 Jahre alt, aber seine Texte tragen bereits die Handschirft des Schriftstellers: Ernsthaftigkeit, intellektuelle Aufrichtigkeitkeit und ein ausgeprägter Sinn für Formulierungen kennzeichnen seinen Stil.
Ehre und Treue
In Frankreich ist er während des Krieges Chefredakteur und später Leitartikler von Combat, der wichtigsten Zeitung der Résistance. Nach dem Ende des Weltkriegs, als er noch als Leitartikler tätig ist, träumte er von einer Presse und einer intellektuellen Szene, die auch nach dem Krieg den Werten des Kampfes gegen die Besatzung treu bleiben würde: Ernsthaftigkeit, Eintracht und guter Glaube. „Könnte man eine Partei der Leute gründen, die nicht sicher sind, recht zu haben? Bei der wäre ich Mitglied.“ Doch bald stand er mit seinem Ideal ziemlich alleine da: von der Rechten wurde er ignoriert, von der Linken verabscheut, die ihm seine Weigerung, sich für eine Seite zu entscheiden, vorwarfen. Obwohl er über ein großes Publikum verfügt, durchlebte er den Algerienkrieg ebenfalls allein und ohne Unterstützung. Er ruft zwei Lager zu Eintracht und Reformen auf, während diese entschlossen sind, sich gegenseitig zu vernichten.
Entretien avec Jean Mogin, 1955
Sein Platz in der Literaturgeschichte
Albert Camus ist heute einer der meistgelesenen französischen Autoren des 20. Jahrhunderts, sowohl in Frankreich als auch im Ausland. Dabei besteht sein Verdienst nicht darin, neue Konzepte geprägt zu haben. Der Mensch in der Revolte ist kein unumgängliches Buch der Philosophie. Vielmehr hat das „bewundernswerte Zusammenspiel seiner Person, seines Handelns und seines Werkes“ dazu geführt, dass Camus in erster Linie als Schriftsteller und Künstler in die Geschichte eingegangen ist.
Der Fremde, Die Pest, Der Fall sind Romane, die Generationen von Leser*innen geprägt haben, nicht nur aufgrund ihrer erzählerischen Leistung, ihrer Originalität und ihrer Kohärenz, sondern auch, weil sie unsere tiefsten Erfahrungen und Fragen widerspiegeln.
Der amerikanische Roman vom Anfang des 20. Jahrhunderts hat Camus offensichtlich beeinflusst. Er übernahm von ihm das, was er als eine Art der „Beleuchtung“ bezeichnete, eine Art, so nah wie möglich an den Empfindungen zu sein. Aber wie Sartre richtig erkannte, ist Camus vor allem ein Erbe der französischen Moralisten des 17. und 18. Jahrhunderts, mit denen er die philosophischen Fragestellungen und den Sinn für das Absurde teilt.
Warum Camus ein außergewöhnlicher Schriftsteller ist
Albert Camus ist in ein außergewöhnlich vielseitiger Schriftsteller. Sein Theater ist lyrisch und sinnlich, wenn er von der Natur und insbesondere vom Mittelmeerraum spricht, und doch ist sein Theater dialektisch, ein Theater der Ideen. Die nüchterne Erzählweise von Der Fremde steht im Gegensatz zu Jean-Baptiste Clamences Monolog in Der Fall und noch mehr zur wuchtigen Prosa des (zugegebenermaßen unvollendeten) Romans Der erste Mensch.
Albert Camus verbindete ein überquellendes Herz mit mediterraner Ernsthaftigkeit. Eine seiner Freundinnen sagte, dass man sich in seiner Gegenwart gepflegt fühle, als ob seine Anwesenheit das Beste in einem hervorrufe. Camus verleiht seinem Werk einen hohen Grad an Intensität, denn der Tod ist in seinem Werk allgegenwärtig, nicht als Melancholie, sondern als absolute Grenze, die dem Leben seine Schönheit und Kraft verleiht.
Quelle: INA
Wichtige Werke
Erzählungen
Licht und Schatten
Diese Sammlung von Erzählungen schrieb Camus im Alter von 22 Jahren und sie hat die Frische eines Schreibstils, der sich gerade selbst entdeckt. Die weitgehend autobiografischen Erzählungen schildern Erfahrungen, Emotionen und Entdeckungen, die das gesamte Werk des Schriftstellers begründen sollten. Im Vorwort zur Neuauflage im Jahr 1958 räumte Camus ein: „Wenn ich seitdem auch viel gewandert bin, so habe ich mich nicht so sehr weiterentwickelt.‟
Der Fremde
Der Erfolg dieses Romans hat nie nachgelassen. Noch heute ist er das drittmeistgelesene französische Buch der Welt (nach Der kleine Prinz und Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer). Der Held, ein einfacher Mann, der sich dem Lügen verweigert, wird auf absurde Weise ermordet und von einer Gesellschaft verurteilt, die er zutiefst stört.
„“Also wirklich! Wird er beschuldigt, seine Mutter beerdigt oder einen Mann getötet zu haben?‟ Das Publikum lachte. Aber der Staatsanwalt richtete sich wiede auf, hüllte sich in seine Robe und erklärte, man müsse die Einfalt des ehrenwerten Verteidigers haben, um nicht zu spüren, dass zwischen diesen beiden Tatsachen eine tiefe, pathetische, wesentliche Beziehung bestehe. „Ja‟, rief er mit Nachdruck, „ich klage diesen Mann an, mit dem Herzen eines Verbrechers seine Mutter begraben zu haben.‟ Diese Worte schienen auf die Zuhörer tiefen Eindruck zu machen. Mein Anwalt zuckte mit den Schultern und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Aber auch er schien erschüttert, und ich begriff, dass es gar nicht gut für mich stand.“
Die Pest
In Oran in Algerien bricht eine Pestepidemie aus. Die Behörden schließen die Stadttore und die Einwohner stehen alleine vor dem Bösen, das sich in den Straßen breitmacht. Wie werden sie reagieren? Anhand unvergesslicher Charaktere zeigt Camus die Feigheit und den Mut der Menschen im Kampf gegen das Böse. Ein Kampf, in dem die Siege nie endgültig sind.
Der Fall
Der dramatische Monolog Der Fall hebt sich in Camus Werk durch seine düstere Introspektion ab. Jean-Baptiste Clamence, ein brillanter, selbstsicherer Pariser Anwalt, erzählt uns, wie er entdeckt hat, dass sein Leben eine Komödie ist und dass sich hinter seiner Güte ein bodenloser Egoismus verbirgt… Dieses kurze und brillante Buch ist einer der größten Erfolge von Camus.
„Man muss es demütig zugeben, mein lieber Landsmann, ich bin stets an meiner Eitelkeit zugrunde gegangen. Ich, ich, ich, das war der Refrain meines teuren Lebens, und er war in allem, was ich sagte, zu hören. Ich konnte immer nur prahlerisch reden und tat es mit einer auffallenden Diskretion, die mir eigen war.“
Theater
Caligula
Caligula ist das erste Stück des „Zyklus des Absurden“. Sein Held ist der gleichnamige römische Kaiser, der eines Tages feststellt, dass das Leben absurd ist: „Die Menschen sterben und sind nicht glücklich.“ Er wird mit seiner unbegrenzten Macht versuchen, die Menschen mit dieser Realität zu konfrontieren.
„Man glaubt, dass ein Mensch leidet, weil der Mensch, den er liebt, eines Tages stirbt. Aber sein wahrer Schmerz ist weniger nichtig: Er besteht darin, dass er feststellen muss, dass auch der Kummer nicht von Dauer ist. Selbst der Schmerz ist bedeutungslos. […] Aber heute bin ich noch freier als vor Jahren, befreit von Erinnerungen und Illusionen. Ich weiß, dass nichts von Dauer ist!“
Die Gerechten
Im Jahre 1905 plant eine Gruppierung russischer Sozialrevolutionärer einen Anschlag auf den Großfürsten Sergej, der die Tyrannei im Russischen Kaiserreich symbolisiert. Doch beim ersten Versuch schreckt der Attentäter Kaljajew zurück: der Grossfürst hat zwei Kinder bei sich. Kaljajew weist so den Weg zu einem politischen Handeln, das sich um die Menschlichkeit und die Moral sorgt.
„Ich liebe die, die heute auf derselben Erde leben wie ich, und sie sind es, die ich grüße. Für sie kämpfe ich und bin bereit zu sterben. Und für eine ferne Stadt, deren ich mir nicht sicher bin, werde ich nicht meinen Brüdern ins Gesicht schlagen. Ich werde nicht hingehen und die lebenden Ungerechtigkeit für eine tote Gerechtigkeit vergrössern.“
Philosophie
Hochzeit des Lichts
Was für eine Lyrik! Was für eine Sinnlichkeit! In dieser Sammlung bringt Albert Camus seine tiefe Liebe, die ihn mit seinem Land verbindet zum Ausdruck sowie seine Leidenschaft für das Leben und gegen alle Lügen und Hässlichkeiten. Diese Textsammlung ist zugleich ein Gedicht und ein atheistisches Glaubensbekenntnis.
„Wir kommen durch das Dorf, das sich bereits zur Bucht hin öffnet. Wir betreten eine gelbe und blaue Welt, in der uns der duftende und herbe Seufzer des Sommerlandes Algerien empfängt. Überall ragen rosafarbene Bougainvillea über die Mauern der Villen hinaus; in den Gärten wachsen noch blassrote Hibiskusbüsche, eine Fülle von cremedicken Teerosen und zarte Ränder aus langen blauen Iris. Alle Steine sind warm.“
Der Mythos des Sisyphos
Ist das Leben wirklich lebenswert? Für Camus ist dies die grundlegende Frage der Philosophie, die er in diesem Essay zu beantworten versucht und die ihn mit der existentialistischen Philosophie verbinden wird. Das Leben ist absurd, sagt Camus, aber nicht sinnlos. Es zeugt von Größe, ein tragisches Schicksal zu beherrschen.
„Ich lasse Sisyphos am Fuß des Berges ! Man findet seine Last immer wieder. Aber Sisyphos lehrt die höhere Treue, die die Götter verneint und die Felsen hebt. Auch er urteilt, dass alles gut ist. Dieses nun herrenlose Universum erscheint ihm weder unfruchtbar noch sinnlos. Jedes Korn dieses Steins, jeder mineralische Splitter dieses Berges voller Nacht, bildet für sich allein eine Welt. Der Kampf selbst um die Gipfel reicht aus, um das Herz eines Menschen zu erfüllen. Man muss sich Sisyphos glücklich vorstellen.“
Der Mensch in der Revolte
Was hat Europa in den mörderischen Wahnsinn der Nazis und Kommunisten getrieben? Was verurteilt eine Revolution, die doch im Prinzip legitim ist? Kann der Revolutionär „fernab des Heiligen und seiner absoluten Werte die Regel eines Verhaltens finden“? In diesem Essay versucht Camus, den Wurzeln der Revolte auf die Spur zu kommen und ihr einen Rahmen zu geben, der verhindert, dass sie in Nihilismus und Ressentiment ausartet.
„Im Jahr 1950 ist Maßlosigkeit immer eine Bequemlichkeit und manchmal eine Karriere. Das Maß hingegen ist reine Spannung. (…) Sie ist ein ständiger Konflikt, der immer wieder von der Intelligenz hervorgerufen und beherrscht wird. Sie triumphiert weder über das Unmögliche noch über den Abgrund. Sie gleicht sich mit ihnen aus. Was auch immer wir tun, die Maßlosigkeit wird immer ihren Platz im Herzen des Menschen behalten, an der Stelle der Einsamkeit. Wir alle tragen unsere Zuchthäuser, unsere Verbrechen und unsere Verwüstungen in uns. Aber unsere Aufgabe ist es nicht, sie in der ganzen Welt zu entfesseln; unsere Aufgabe ist es, sie in uns selbst und in anderen zu bekämpfen.“